Freitag, 20. März 2009

Verantwortung des hauptamtlichen Bürgermeisters

Leserbrief zum Artikel "Wir wissen, was passiert, nicht warum" im Kölner Stadt-Anzeiger 66 vom 19.03.2009.

Herr Oberbürgermeister Schramma/Stadt Köln bezeichnet sich in einer Fernsehsendung im Zusammenhang mit dem Einsturz des Historischen Stadtarchivs am 03.03.2009 als „Kümmerer“, der sich um die Folgen der Katastrophe zu kümmern habe und den betroffenen Menschen beistehen müsse. Das ehrt ihn - als Person und als christdemokratischen Pädagogen, Pädagoge, vermutlich auch als vom Rat gewählten Repräsentanten der Stadt.
Er ist aber der von der Bevölkerung gewählte Repräsentant und Chef der Verwaltung. In dieser Funktion geht seine Auffassung an der Realität vorbei. Es dürfte sich empfehlen, die Juristen seines Hauses prüfen zu lassen, ob die hoheitlichen Aufgaben der Bauaufsicht - ob beim Bau-, Rechts- oder Umweltdezernenten - in ihrer Gesamtheit oder in Teilen auf eine privatrechtliche Organisation übertragen werden kann. Darüber hinaus wäre zu prüfen, ob eine solche Übertragung - wenn zulässig - übertragen werden kann an den Auftraggeber einer Großmaßnahme in der Stadt für genau diesen Maßnahmekomplex. Schließlich frage ich mich, ob zur Bauaufsicht über ein solch umfassendes Großprojekt nicht die kontinuierliche bauaufsichtliche Begleitung gehört.
Man kann der Person Schramma vermutlich nicht zum Vorwurf machen, dass er seine Pflichten als Chef der Verwaltung nicht kennt. Dazu hat er seine Fachleute, die ihm die Details seiner Verantwortung und Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten vermitteln. Er ist aber nun schon einige Jahre Chef der Verwaltung. Da ist es eine grundlegende und nach außen hin erschreckende Fehleinschätzung seines Amtes, wenn er vor dem Hintergrund dieser Katastrophe als erstes feststellen kann: „Ich habe diese Dinge nicht in Verantwortung.“ –
Man mag später genauer feststellen, ob er juristisch, politisch oder moralisch Mitverantwortung trägt. Aber er steht für die Stadt – politisch und als Verwaltungschef - und als solcher ist er mitverantwortlich.
So sieht die Sachlage für mich von außen aus. Er wäre hilfreich, wenn diese Fragen innerhalb der Kölner Stadtverwaltung umfassend abgeklärt und dem Oberbürgermeister die Ergebnisse der Prüfung nahe gebracht werden könnten. Das würde dem Ansehen der Stadt Köln, aber auch dem Selbstverständnis der Bürgermeister in diesem Lande einen großen Dienst erweisen.

Mittwoch, 18. März 2009

Qualifiziertes Wachstum

Leserbrief an den Kölner Stadt-Anzeiger zur Finanzspritze an die Autoindustrie

Jetzt ist die Chance für eine lang angelegte, grundlegende Strukturveränderung:
Die Automobilindustrie teilt die Position als Schlüsselindustrie mit anderen zukunftsfähigen Industrien wie Umwelttechnologie. Arbeitskräfte, Zulieferer müssen sich umstellen. Insgesamt verlagert sich das Risiko. Alle hätten weniger Wachstum, vielleicht weniger Umsatz. Aber es erhöht sich die Chance eines qualifizierten Wachstums – inneren Wachstums: weniger Elektronik, weniger Sprit, mehr Stabilität – und die Herausforderung, kreativ zu werden, vielleicht auch Flexibilität zu entwickeln.
(November 2008)

"Gewinn" oder "Ehre"?

Leserbrief an den Kölner Stadt-Anzeiger betreffend Fernsehpreise (in den Nummern 239 und 240 2008)

Bei der Lektüre der heutigen Ausgabe Ihrer Zeitung ist mir aufgefallen, daß ein grundlegendes Mißverständnis weit verbreitet ist. Das erste Mal fiel mir dies Mißverständnis auf als ich las oder hörte, ein Preisträger habe den Nobelpreis "gewonnen". Heute lese ich auf der Leserbriefseite von den "Gewinnern" der Fernsehpreise.
Nach herkömmlichen Verständnis werden in diesen Fällen die Preisträger wegen ihrer Leistung "geehrt". - Das wird deutlich am Beispiel Reich-Ranickis. Er hat sich an keinem Preisausschreiben beteiligt, an keinem sportlichen oder sonstigen Wettbewerb beteiligt, sondern "seine Lebensleistung" ist vor dem Hintergrund seiner Biographie und der Zeit, in der er lebte, einmalig.
So, wie die "Preise" heute verliehen werden, kann man durchaus den Eindruck gewinnen, es fände eine Preisverleihung am Schluß eines Wettbewerbs statt - nicht nur unter den "Bewerbern" als Person, sondern auch unter den Fernsehanstalten und vielleicht auch noch unter anderen Institutionen im Hintergrund, die der Zuschauer nicht kennt.
Seit 1945 bin ich mit dem Begriff "Ehre" - auch mit dem heute wieder aufkommenden Begriff "Helden" - sehr zurückhaltend. Ich halte es lieber mit der "Würdigung" einer herausragenden Leistung, einer "Lebensleistung“ oder einer Persönlichkeit.
In diesem Sinne kann sich Herr Reich-Ranicki durchaus auf der falschen Veranstaltung gesehen haben.
Ihr Blatt hat meines Erachtens nicht die Verwechslung von Gewinn und Ehre vorgenommen. Es stünde ihm aber gut an, die Konsequenzen dieser Begriffsverwirrung mit ihren kulturellen Folgen kritisch zu begleiten.
(14. Oktober 2008)

Dienstag, 10. März 2009

Klimawandel und Atomkraft

Ein Leserbrief an die ZEIT bezogen auf folgende Artikel aus der Nr. 29 vom 10.07.2008

"Zurück zur Atomkraft?"
PRO von Andreas Sentker
CONTRA von Fritz Vorholz

"Neu angereichert" von Brigitte Fehrle
"Europas Selbstbetrug" von Marcia Pally

Zunächst Dank an Frau Pally! Viele vermuteten es schon lange, manche sprachen es offen aus, Frau Pally hat es in schöner Offenheit erklärt: Motor der amerikanischen Außenpolitik ist über die Jahrhunderte hinweg immer die Wirtschaft, etwa in dem Sinne: Was der Wirtschaft nützt, ist gut für die USA. Der Einsatz für Menschenrechte, für Demokratie, Präventivkriege zur Erhaltung des Völkerfriedens sowie zur Verteidigung der Freiheit, die Achtung von Waffenproduktion und -handel, dies alles muß sich dem herrschenden Grundsatz des wirtschaftlichen Wohlergehens unterordnen. Wenn es not tut, dann wird dies alles hinfällig und durch Zusammenarbeit mit und Unterstützung von Diktaturen und kriminellen Vereinigungen, wie etwa der Drogenmafia, ersetzt.
Eine ähnlich klare Sicht der Dinge könnte auch Europa und besonders Deutschland helfen. Nehmen wir aus aktuellem Anlaß das Thema der Atomkraft.
Mich stört seit Beginn der Diskussion vor Jahren schon, daß die Halbwertzeiten der Elemente Plutonium (Pu) mit maximal 82 Mio Jahren und Uranium (U) mit maximal 4,5 Mio Jahren in der öffentlichen Debatte keine Rolle spielen. Herr Sentker verweist darauf, daß lange strahlende Atomabfälle in kurzlebige verwandelt werden sollen und damit auch die endgültige Lösung der Endlagerung sichtbar wird.
Andere Vertreter der PRO-Seite betonen, Kernenergie sei umweltschonender und preiswerter als die Energie aus anderen Quellen. Die Abwärme der Kühlwasser und die sich mit der Zeit häufenden Zwischenfälle dürften die bisherige Umweltbilanz der Kernenergie spürbar belasten. Hinzu kommt die Gefahr langfristig kaum beherrschbarer Kettenreaktionen in dem Fall, daß im radioaktiven Bereich ein Initialereignis ausgelöst werden sollte. Preiswerter kann Kernenergie nur dann sein, wenn die langfristigen Folgekosten - sowohl was die Umwelt als auch den Lebensraum der Menschen angeht - nicht in die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung eingehen. Ich denke z.B. an die Kosten für Abtransport und Endlagerung radioaktiver Abfälle, die Sicherheit der Endlagerstätten und die Frage, wo und zu welchen Kosten weitere Endlager verfügbar gemacht werden sollen, wenn - wie die Atomlobby fordert - die vorhandenen Kernkraftwerke länger am Netz bleiben sollen und neue in das Netz eingegliedert uerden. Mir kommt diese Entwicklung so vor wie die Situation des Zauberlehrlings bei Johann Wolfgang von Goethe "Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werde ich nicht wieder los!"
Herrn Sentkers Lösung, Hunderttausende in einige hundert Jahre umzuwandeln, scheint mir nicht das lösende Wort des Hexenmeisters zu sein: "In die Ecke, Besen! Besen! Seid’s gewesen."
Herr Vorholz jedenfalls erliegt nicht dem "Selbstbetrug" und erkennt, daß es die wirtschaftlichen Aspekte sind, die Kernkraftwerke, sind sie einmal abgeschrieben, erst zu der eigentlichen Geldquelle werden lassen - für Betreiber und Aktionäre.
Ran mag mich für uninformiert halten, alte Themen, die längst ausdiskutiert seien neu aufwärmen, die Aktualität der politischen Herausforderung nicht erkennen - das mag alles sein. Aber die politische Diskussion in der Öffentlichkeit sollte die sachlichen Gründe und Motive nennen und ausdiskutieren, damit der einfache Mensch die zentralen Fragen erkennt und die Lösungsvorschläge mit ihren Konsequenzen einschätzen kann. Vor diesem Hintergrund ist die Frage der Halbwertzeiten nicht ausdiskutiert und die ausschlaggebende Kraft wirtschaftlicher Argumente im Sinne, was der Wirtschaft nützt ist gut für Europa und auch für Deutschland - zumindest suspekt.
Brigitte Fehrle deutet das an: "Noch schläft die Anti-AKU-Bewegung -während die Atomlobby etwas zu laut frohlockt. So lautet die Unterzeile zu ihrem Bericht einer Reise von Gorleben über München nach Hokkaido. Aber "Anti"- genügt nicht.
Frau Pally deutet einen anderen Aspekt an, wenn sie schreibt: Unabhängig davon, was man unter ethischen oder politischen Gesichtspunkten von Bushs Politik hält, ungewöhnlich ist sie nicht." Sie fährt allerdings fort: "Amerikas nationale Interessen werden sich auf lange Sicht nicht ändern." In der Erkenntnis dieser Realität darf Europa und mit ihm auch Deutschland einen Blick in die Zukunft über nationale Grenzen hinweg richten und Wege dahin aufzeigen.
Zwei amerikanische Historiker können uns dabei hilfreich sein. Paul Kennedy hat in seinem Buch "In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert" schon 1993 darauf hingewiesen, daß Europa auf dem Weg", nationale Egoismen zugunsten einer übernationalen Gemeinschaft neuer Art zu überwinden, weit fortgeschritten ist. Wir wissen, daß es Fortschritte und Rückschläge auf diesem Weg gab. Dennoch habe ich den Eindruck, daß es insgesamt ein Fortschritt war - und nicht nur wirtschaftlicher Art -, den Europa und mit ihm Deutschland seit 1993 zurückgelegt hat. Der zweite Historiker aus den USA ist Fritz Stern, dessen beeindruckende Lebenserinnerungen - - "fünf Deutschland und ein Leben" nicht nur davon, sondern auch von einem Leben in den USA und ein Forscherleben für internationale Organisationen berichtet. In unserem Zusammenhang ist bedeutsam, daß sein Lebensbericht Menschen in den USA nennt, die sich "Liberale" nennen - und das ihrem Tun und ihren Motiven nach offensichtlich auch sind, anders als zur Zeit in Deutschland.
Das alles gibt mir Hoffnung, daß die Politik in Deutschiland und Europa Wege in die Zukunft finden wird jenseits aktueller Wahlkampfparolen und vordergründiger Argumentationen. Ob die Politiker den Weg finden, weiß ich nicht. Gelegentlich zweifele ich daran. Vielleicht ist es sogar die Wirtschaft selbst, die erkennt, daß ihre Instrumente für die Lösung langfristiger Probleme nicht ausreichen insbesondere jenseits wirtschaftlicher Interessen.
Es gibt jedenfalls auch ein anderes Amerika als das, was uns Frau Pally beschreibt, selbst wenn es nicht die Entscheidungen in der Politik trifft. Es gibt sicher auch in Europa wie in Deutschland Kräfte, die weiter blicken als die Wirtschaft zu denken vermag -insbesondere in größeren Kategorien.

• Friedrich von Schiller wußte:

Die Welt wird alt und wieder jung,
doch der Mensch hofft immer Verbesserung!
Denn beschließt er im Grabe den müden Lauf, noch am Grabe pflanzt er - die Hoffnung auf.

Unsere Zeit hat dieses Wissen in die Redensart gefaßt:
Die Hoffnung stirbt immer zuletzt.